Zwei „Tausender" in zwei Tagen

Karte Hinflug

Wir haben viel gelernt in den letzten Tagen. Zum Beispiel, dass man für große Leistungen sehr spontan, offen für alles und super flexibel sein muss. Ursprünglich hatten René und ich bereits im letzten Jahr passend Urlaub eingereicht, um Ende April einen Fliegerurlaub in Österreich zu verbringen. Leider hat sich die Prognose bestätigt, das gute Wetter wollte sich auf der Südseite der Alpen nicht so einstellen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Kurzfristig warfen wir den gesamten Urlaub „über Bord", betrachteten skeptisch sämtliche Wettervorhersagen und feilten an einem Plan B.

Wandersegelflug von Zuhause, von Oeventrop aus, das wäre doch mal was! Bestückt mit einem eigenstartfähigen Arcus, den nötigsten Sachen und zwei kreativen Köpfen könnte man doch vielleicht mal etwas Neues probieren.

Langsam aber sicher definierte sich eine Wetterlage über zentral-Deutschland, die vielleicht eine verrückte Aktion zulassen könnte. Polare Kaltluft, labil und homogen genug für einen Flug quer durch die Republik. Ohne konkretes Ziel, und somit ohne Zwang an einem bestimmten Flugplatz wieder landen zu müssen. Zur Not auch über die Grenze, wir waren zu allem bereit. Solche Kaltlufttage sind meist sehr energiegeladen, genau an der Grenze zwischen einem fliegbaren und einem verregneten Tag. In der richtigen Mischung kann dadurch aber auch ein Hammertag entstehen!

Der von uns für einen Start anvisierte Mittwoch (26.04.2017) rückte näher, die Wetterkarten schlugen uns einen Flug auf einer Südwest-Nordost Achse bis nördlich Berlin vor. Bereits am Vorabend wurde der Arcus aufgerüstet und einmal probe gepackt. Viel war es nicht, was wir für unser Abenteuer einpacken durften. Ein Satz frische Klamotten, Zahnbürste, Ladegeräte und Verpflegung mussten irgendwie in den Flieger passen. Auf Schlafsäcke oder anderen Luxus musste verzichtet werden.

Anhand des letzten Wetterupdates machten wir uns kurz vor dem Start noch Gedanken, welcher Platz denn als Ausgangslage für den Rückflug am Donnerstag interessant werden könnte. Wir telefonierten ein bisschen durch die Weltgeschichte und stießen auf den kleinen Flugplatz von Waren an der Müritz. Nach kurzer Zeit hatte ich sogar den ersten Vorsitzenden, Norman, am Apparat.

„Ob ihr hier morgen wieder starten könnt? Na klar!". Hocherfreut sicherte er uns eine mögliche Übernachtung zu, und fieberte danach sogar den ganzen Tag mit uns. Topfit!

Wir fackelten nicht lange und starteten bei einer guten Optik gegen 10:30 Uhr von Oeventrop richtung Süden. Die Luftmasse war phänomenal! Das Sauerland entwickelt sich sehr schnell. Ohne große Probleme setzten wir unsere erste Wende bereits gegen kurz vor 12 in der Nähe von Koblenz am Rhein, und drehten die Nase Richtung Nordost. Jetzt zählt es!

Das Sauerland begann langsam aber sicher hinter uns abzuschauern, während wir östlich Paderborn über Braunschweig Richtung Altmark sprinteten. Immer wieder konsultierten wir aktuelle Satellitenbilder und das Regenradar über mögliche Probleme. Die Schauer standen hinter uns und weiter westlich von Rostock bis Hannover, sodass es für uns nur weiter nach Nordosten gehen konnte. Wir waren begeistert von der tollen Seenlandschaft in MeckPomm!

Man musste kaum rechnen um festzustellen, dass heute sogar mehr möglich war, als ein langer Geradeausritt quer durch Deutschland. Der lange zweite Schenkel mit konstanten 10-15 km/h Rückenwind, rückte die 1.000 km-Marke in greifbare Nähe! Für uns Segelflieger ist das im Flachland ähnlich einem heiligen Gral. Es muss schon viel passen, damit diese Zahl fällt.

1.0000 km auf dem Rechner.

Um unser neues Ziel zu erreichen, mussten wir unsere Durchschnittsgeschwindigkeit im guten Wetter aufrechterhalten und setzten kurz vor Prenzlau, nördlich Berlin eine weitere Wende für einen kurzen Schenkel Richtung Westen ins gute Wetter, um dann südlich Schwerin wieder nach Osten zu fliegen.

Es wurde mehr und mehr gerechnet. Die Faktoren Sonnenuntergang, Thermikende, Landeplatz und Schneeschauer führten diese Bilanz sehr ins Ungewisse. Wir stellten die 1.000 km über die Landung in Waren, und kurbelten unseren letzten Bart an der Müritz, um danach stumpf richtung Polen abzugleiten, wo noch einzelne Cumulus-Fetzen zu sehen waren.

Kurz hinter dem Flugplatz von Pasewalk, stand dann die magische Zahl auf unserem Rechner! Mit laufendem Motor und überglücklich, reichte die Zeit sogar noch für einen Rückflug nach Waren mit einer Landung bei Sonnenuntergang.

Diese Entscheidung haben wir nicht bereut. Wir wurden herzlichst von Norman und seinen Vereinskameraden am Boden empfangen! Der Grill lief, das Bier war kalt und sogar eine kleine Unterkunft wurde samt Vereinsheim erwärmt und für uns hergerichtet, der absolute Wahnsinn! Vielen vielen Dank an dieser Stelle, besser hätten wir es wirklich nicht treffen können. Bei ein paar netten Gesprächen konnten wir uns schließlich entspannen und den Abend ausklingen lassen. Toll!

Der Rückflug

Karte RückflugNach einer kurzen, aber erholsamen Nacht, einer frischen Dusche und einem Frühstück am nächsten Morgen, brummte der Arcus um Punkt 10 Uhr über die Müritz. Hochmotiviert ging es nun wieder in den Süden.

Das Wetter sah bereits um die frühe Uhrzeit phänomenal gut aus. Wir ahnten schon, dass uns das auf dem Heimweg gen Süden etwas Probleme bereiten könnte, da die Wolken bereits kurz vor der Elbe begannen „breitzulaufen". Dennoch war der thermische Anschluss jederzeit gut kalkulierbar. Überall wo die Sonne den Boden erwärmte, und eine Grenze zu den Wolkenschatten entstand, konnte man auf thermische Ablösungen hoffen.

Aufgrund der Schauertätigkeit, welche laut Satbild nach Osten deutlicher spürbar sein sollte, entschieden wir uns im Gegtensatz zum Vortag für einen Flugweg nördlich von Hannover. Leider standen die perfekten Wolken für uns natürlich mitten im eigentlich gesperrten Luftraum. Mit einer freundlichen Freigabe der Lotsen, konnten wir dann aber doch noch etwas „abkürzen".

Gegen 14:30 Uhr tauchte dann schon die Heimat vor uns auf. Wir zogen einen phänomenalen Bart über Oeventrop, und ließen den Arcus unter der mittlerweile über 2.000 m hohen Basis weiter nach Süden schießen.

Als wäre nichts gewesen, wendeten wir erneut gegen 15:45 Uhr nördlich des Flughafens von Frankfurt-Hahn, in der Nähe von Koblenz. Koblenz? Da waren wir doch gestern erst.

Langsam aber sicher ging die Rechnerei wieder los. Sollte es etwa nochmal klappen? Auch heute nahmen die Schneeschauer langsam zu. Wir tüftelten an einem Plan. Das Sauerland ging zuverlässig und ließ uns noch einmal kurz vor Brilon eine Wende nach Westen setzen. Jetzt noch einmal durch den Luftraum-Korridor zwischen Düsseldorf und Köln durch. Im Westen steht vielleicht die Kraftwerksthermik von Bergheim und Weissweiler bis Aachen. Eine Schauerlinie versperrte uns aber lange die Sicht auf jene Industrie.

Hinter der Schauerlinie angekommen, südlich Wuppertal, eingekesselt von Schauern und Lufträumen, sahen wir bereits das Unheil: Die Kraftwerke sahen schon aus der Distanz echt mies aus! Absolut breitgelaufen und warscheinlich nicht nutzbar. Damit gingen uns plötzlich ziemlich schnell die Optionen aus. Eine Umkehr ins Sauerland würde einen Motorzieher nach 800 km wohl unvermeidbar machen.

Wir holten uns mit Transponder eine Freigabe, um ein paar Kilometer in den Luftraum von Köln einfliegen zu dürfen, dort nahmen wir in der Sonne einen schwachen Bart an und grübelten weiter. Langsam aber sicher, definierte sich eine immer besser werdende Wolkenstraße, quer durch den Luftraum C von Köln-Bonn Richtung Siegerland. Um kurz nach 18 Uhr, in einer der Hauptverkehrszeiten der An-und Abflüge des Flughafens, malten wir uns nicht viele Chancen aus auch hier eine Freigabe zu erhalten.

Fragen kostet jedoch nichts: „D-KJRM... wir hätten da eine ganz ganz große Bitte..." Nach einer kurzen Erklärung der Situation und ein paar Minuten des Bangens waren wir dann völlig baff, als uns der Radarlotse plötzlich auf Deutsch ansprach: „D-RM, steht die Wolkenstraße noch da?" „Positiv..." „Frei zum Durchflug, wir haben gerade eine Lücke".

Wahnsinn! Die Wolkenstraße trug uns zuverlässig ohne einen Kreis bis nach Siegerland, während die großen Airliner um uns herumgelotst wurden. Vielen vielen Dank an den unbekannten Fluglotsen, der uns das ermöglicht hat, das ist wirklich nicht selbstverständlich.

Dadurch, dass unser erster Schenkel etwa 514 km lang war, hatten wir nun nach der Wende in Siegerland noch zwei Stück übrig. Wir flogen noch einmal das Sauerland hoch bis Arnsberg, wendeten kurz vor Dortmund. Wir waren uns sicher, wenn wir noch einmal die 1.000 machen wollten, mussten wir nun auch wieder stumpf nach Süden abgleiten, und über einem Außenlandeacker den Motor werfen. Eine letzte Wolke, ein letzter Aufwind trennte uns von den 4 Zahlen im Display.

1.000 km über Siegen

Nördlich Finnentrop, unter einer großen und breitgelaufenen Wolke um 20 Uhr Abends, ging das Vario noch einmal auf beinahe 2 m/s. Was für eine Luftmasse!

Aus 1.600 m begonnen wir unseren letzten Gleitflug nach Süden. Eine halbe Stunde später, durchgefroren nach über 10 Stunden Flugzeit bei minus 10°C, mit leeren Batterien und völlig platt, zündeten wir erneut den Motor: 1.006 km.

Kurz vor Sonnenuntergang um 21:00 Uhr, rollte unser Rad wieder auf den Ruhrwiesen. 21 Stunden Flugzeit und über 2.000 Flugkilometer in zwei Tagen. Richtig realisiert haben wir das an dem Abend nicht mehr, was man mit ein paar Litern Sprit so alles machen kann.

Vielen Dank an unsere Flugleiterin Carmen am Mittwoch, den Warener Fliegerkameraden für die super herzliche Aufnahme und allen anderen fürs Mitfiebern! Wir tauen erstmal wieder auf.

Euer WA-Team, René und Tim

 

Bilder-Galerie

Vor dem Start in Oeventrop.
Koblenz.
Schneeschauer.
Seenplatte MeckPomm.
Quer durch Köln.
Abgleiten nach Waren.
Warener Fliegerkameraden.
Die Unterkunft.
Seenplatte MeckPomm.
Soester Börde.
Schauerlinie vor Luftraumkorridor Richtung Westen.
Schauertätigkeit.